16.12.2024

20 Jahre masifunde: Eine Geschichte von Menschen für Menschen

Seit zwanzig Jahren widmet sich Jonas Schumacher, Gründer von masifunde, mit Herz und Engagement der Bildungsarbeit in Südafrika. Was als Unterstützung für fünf Kinder begann, entwickelte sich zu einer Organisation, die Hunderte von Leben langfristig postiv beeinflusst – in Südafrika und Deutschland. In diesem Rückblick teilt er seine Erfahrungen, Herausforderungen und Erfolge auf dem Weg, nachhaltige Strukturen für Bildung und Entwicklung aufzubauen.

Die Anfänge: Von fünf Kindern und der Verantwortung, die bleibt

20 Jahre, fast die Hälfte meines Lebens, habe ich in masifunde und die Bildungsarbeit in Südafrika investiert. Das klingt lang; fühlt sich für mich aber gar nicht so an. Nur der morgendliche Blick in den Spiegel verrät mir, dass viel Zeit ins Land gezogen sein muss. Ich erinnere mich, als wäre es erst ein paar Wochen her, wie ich während meines Auslandsstudiums mit Freunden aus Walmer Township fünf Kinder in guten Schulen angemeldet habe.

20 jahre kinder am anfang

Zurück in meinem Elternhaus in Bensheim, wo ich stolz davon berichtete, fragte mich mein Vater damals, 2004, wie lange diese Kinder denn wohl jetzt zur Schule gehen werden und wie alt ich sein werde, wenn sie mit der Schule fertig sind. In diesem Moment realisierte ich, mit wie viel Verantwortung diese „gute Tat“ einherging. Dieser wollte ich mich stellen; sicherstellen, dass diese fünf Kinder gut durch die Schule kommen, volle Unterstützung erhalten, idealerweise auch dann, wenn ich mal nicht mehr können sollte.

An diesem Gefühl hat sich eigentlich bis heute nichts geändert: Ab und an, wenn ich mich aus dem Hamsterrad und dem Klein-Klein des Tagesgeschäfts herausziehen kann, blicke ich von außen verwundert und auch mit Stolz auf das, was wir alle gemeinsam bei masifunde mittlerweile erreicht haben und weiterhin tagtäglich auf die Beine stellen. Aber das Gefühl der Verantwortung, aus der ich mich nicht ziehen wollte, bleibt weiterhin mein ständiger Begleiter. Mittlerweile ist es Verantwortung für viele hundert Kinder und Jugendliche, deren Familien sowie Verantwortung für ein 50-köpfiges Team und deren Familien.

Uneigennützige Unterstützung Vieler und eine E-Mail, die alles veränderte

Das Faszinierendste an 20 Jahren masifunde ist für mich, wie viele Menschen sich anschlossen, dieses Bildungsvorhaben zu unterstützen. In Deutschland, mehr als 10.000 Kilometer entfernt, fanden sich tatsächlich Menschen, die bereit waren, monatlich einen Teil ihres Geldes für Bildungschancen von südafrikanischen Kindern zu spenden – ohne dass sie diese oder deren Familien persönlich kannten. Und in meinem Heimatort Bensheim sowie im Uni-Umfeld in Mainz waren Menschen bereit, ehrenamtlich ein paar Stunden ihrer Zeit zu investieren, um zu helfen, hier etwas nachhaltig Wirksames aufzubauen.

Dieses Engagement wollte einfach nie aufhören. Einige engagierten sich einmalig oder für ein paar Monate, andere für ein Jahr oder länger – und manche sind noch immer dabei, haben nie wirklich aufgehört und wirken, mit zunehmendem Alter in oft wechselnder Form, unaufhörlich mit.

Rückblickend von besonderer Bedeutung war die erste E-Mail, mit der ich 2004 im Bekanntenkreis um Unterstützung warb. Eine einfache E-Mail, in der ich darlegte, was wir machen, was wir vorhaben und welche Bedarfe wir haben. Diese zirkulierte dann in meinem Freundeskreis und wurde von einigen ebenfalls weitergeleitet – und landete so über eine gute Freundin auch beim heutigen Bundespräsidenten, Frank-Walter Steinmeier, damals Kanzleramtsminister, und Brigitte Zypries, damals Bundesjustizministerin.

Dass beide die damals noch ganz junge Vision als förderungswürdig erachteten, war für uns wie ein Ritterschlag. Aber zunächst realisierten wir gar nicht, wer uns da monatlich unterstützte. Bis dann eines Abends das Telefon klingelte und Brigitte Zypries am Telefon war und mich motivierte, doch bitte einen gemeinnützigen Verein zu registrieren. Das lehnte ich erstmal dankend ab, denn „Vereinsmeierei“, so meine Worte, das sei nun wirklich nichts für mich. Zwei Wochen später trafen wir uns dann in Mainz, die Chemie stimmte sofort, und ich versprach, masifunde als gemeinnützigen Verein anzumelden, für den sie die Schirmherrschaft übernehmen wollte.

Viele Engagierte, stärkere Strukturen und nachhaltiges Wachstum

Sehr bald bildeten sich daraufhin in Deutschland ehrenamtliche Strukturen im dann registrierten Verein Masifunde Bildungsförderung. Freunde und Bekannte, aber auch einfach nur Südafrika-Liebhaber, investierten Stunden, Tage und Wochen in Vorstandsarbeit sowie in Regionalgruppen an vielen Universitäten Deutschlands. Es bildeten sich ehrenamtliche Bereiche für Finanzen, Fundraising, PR-Arbeit und sehr bald auch für Bildungsarbeit in Deutschland. Uns gelang es, professionelle Strukturen auf vielen ehrenamtlichen Schultern aufzubauen und so sicherzustellen, dass 100% einer jeden Spende in unsere Projekte in Walmer Township flossen.

masifunde wuchs in Deutschland und somit auch in Südafrika. Mehr Unterstützung bedeutete mehr Möglichkeiten bei der Umsetzung von Programmen: Mehr Qualität, professionellere, nachhaltigere Strukturen, aber auch mehr Programme für neue Zielgruppen. Es verging kein Jahr, in dem keine neuen Programme angestoßen wurden – von denen auch heute noch die meisten laufen und zum Teil von anderen NGOs in ganz Südafrika repliziert werden.

Mit einem inneren stabilen moralischen Kompass im Team entwickelten wir uns stetig weiter. Ein besonderes Jahr war hierbei 2008, in dem unser ehrenamtliches Engagement vom „Land der Ideen“ der Bundesregierung und mit dem Marion-Dönhoff-Preis der ZEIT-Stiftung gleich zwei Mal national ausgezeichnet wurde. Gleichzeitig fanden wir mit Knorr-Bremse Global Care in München einen neuen Partner, der uns nicht nur die Finanzierung eines Schulbusses und des ersten Personals in Südafrika zusagte, sondern auch den Bau eines eigenen Bildungszentrums in Aussicht stellte.

masi marion dönhoff preis

Plötzlich war sie da, die Möglichkeit, wirklich nachhaltige Strukturen aufzubauen, die über die Unterstützung einiger weniger Kinder umfassend in die Gesellschaft wirken. Die Chance, wirklich etwas zu bewegen, schien zum Greifen nah.

Von der Vision zur Realität: Der langwierige Aufbau nachhaltiger Organisationsstrukturen

Drei bis vier Jahre gab ich mir damals, als ich meine Stelle in München kündigte, um in Südafrika – zunächst mit dem eigenen Erspartem und dann zeitnah als Entwicklungshelfer, finanziert über Misereor – Vollzeit mitzuwirken und das ehrenamtliche Team vor Ort zu unterstützen, eben diese Strukturen aufzubauen: Büro, Personal, Registrierung etc. Vier Jahre wirkten für mich damals sehr lang und durchaus realistisch – waren sie aber nicht, und wären sie vermutlich nirgendwo, aber vor allem nicht im südafrikanischen Township-Umfeld, wo täglich unerwartete Hürden auf einen warteten und Dinge, die gefühlt mit einem Telefonat erledigt sein sollten, gerne mal Monate dauerten.

Seit zwanzig Jahren baue ich mit unserem Team an Strukturen, die masifunde nachhaltig auf stabile Beine stellen: Erreichte Qualität sichern, Wirkung messen und verbessern, das Team erweitern und mit den nötigen Kapazitäten stärken, verlässliche Infrastruktur aufbauen und all das langfristig sowie zuverlässig finanzieren. Um Planungssicherheit zu haben, streben wir durch masifundes eigene Sozialunternehmen ein wenig finanzielle Unabhängigkeit an. Daran war 2004 nicht zu denken. Es ging zunächst nur um die ersten fünf Kinder. Schnell wurden neue Bedarfe sichtbar: Sicherer Transport zur Schule, Hausaufgabenbetreuung für Kinder, deren Eltern selbst nur wenige Jahre Schulbildung erhalten hatten; aber auch sehr früh kam der Gedanke auf, sicherzustellen, dass diese Kinder nicht nur für „sich selbst“ lernen sollten, sondern aktiver Teil ihres Umfelds blieben, um die genossene Bildung ins Township weiterzutragen.

Fünfzehn Jahre später bin ich noch immer vor Ort und noch immer gilt es, Strukturen zu schaffen, die langfristig funktionieren. Mittlerweile haben wir in Südafrika ein fantastisches Board of Directors (Vorstand) mit sehr engagierten Experten, ein vierköpfiges Management-Team, das sich gefühlt Tag und Nacht für masifunde zerreißt, sechs Bereichsleitungen, alle Xhosa, zum Teil selbst aus dem Township und unseren Programmen kommend, die ihre Bereiche mit motivierten Teams leiten und die Programme tagtäglich Realität werden lassen.

masifunde: Mit Qualität, Selbstkritik und Humor nachhaltigen Wandel anstoßen

Was wir machten, wollten wir sehr gut machen; das war uns immer wichtig. Keine halben Sachen, keine Kompromisse, keine halbherzigen Interventionen, wenn es um die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen geht. Immer strebten wir nach höchster Qualität, um wirklich nachhaltig und langfristig Veränderung anzustoßen und den Programmteilnehmenden nicht nur innerhalb des Townships zu helfen, sondern ihnen auf das Niveau zu verhelfen, das ihnen auch außerhalb des Townships, an Universitäten und im Arbeitsmarkt, Augenhöhe und Konkurrenzfähigkeit mit den privilegierten Mitstreitern verschafft.

Auch scheuten wir nie davor zurück, unser Wirken selbstkritisch zu beleuchten und notfalls auch ein Programm zu beenden oder umfassend anzupassen. Unser Name, masifunde, der auf isiXhosa „Lasst uns lernen!“ heißt und ursprünglich einzig für die Wissbegierde und das Verlangen der Kinder nach Bildung stand, wurde dabei sehr bald unser Organisationsmotto: Lasst uns immer weiter lernen, eine lernende Organisation im stetigen Wandel bleiben.

Dass es auch im gemeinnützigen Bereich gelingen kann, nachhaltige Strukturen aufzubauen, die den Gründer nicht mehr benötigen, zeigte dabei unser gemeinnütziger Verein in Deutschland. Mit meiner Ausreise nach Südafrika zog ich mich immer weiter zurück, wohlwissend, dass die Vorstandsarbeit in den besten, sehr fähigen und motivierten Händen lag. Leicht fiel mir das nie, denn der besondere masifunde-Spirit, den wir gemeinsam als Ehrenamtliche zu entfachen wussten, war schon etwas ganz Besonderes: stets sehr idealistisch und selbstkritisch planten und arbeiteten wir, und vor allem diskutierten wir Tage und Nächte und viele Wochenenden durch bei Kaffee, Pizza und Bier. Und bei all diesem Engagement nahmen wir uns selbst nie zu ernst. Der Humor durfte dabei genauso wenig fehlen wie das Selbstverständnis, nur ein kleines Licht zu sein, das weder mit dem moralischen Zeigefinger anderen erklären sollte, was richtig und falsch ist, noch denken sollte, die Weisheit und somit die Lösungen mit dem Löffel gefressen zu haben.

jonas mit kids

Wir für uns selbst wollten in Walmer Township und später auch in deutschen Schulen zunächst einfach nur richtig gute Projekte umsetzen und freuten uns über jeden, der uns dabei unterstützen wollte. Mir persönlich war dabei stets wichtig, nicht ein moralisch erhöhter „Gut-Mensch“ zu werden, sondern weiter einfach nur der Kerl zu bleiben, der ich auch zu Schul- und Uni-Zeiten war: ein durchschnittlicher Typ mit skurrilem Humor, der Freude am Musizieren und Organisieren hat. Denn wenn ein stinknormaler Kerl etwas wie masifunde anstoßen kann, dann können das auch andere – und darum geht es bei masifunde: Wandel anstoßen, unaufgeregt, nüchtern, im Kleinen oder Großen. Jeder kann das, und wenn jeder es tut, drehen wir gemeinsam am großen Rad.

Gemeinsam stark: 20 Jahre masifunde und die Bedeutung jedes Einzelnen für den Erfolg

Die Freude am Organisieren finde ich übrigens immer noch, wenn ich mit vielen tollen Menschen in Deutschland und Südafrika Projekte für und mit Menschen organisiere und durchführe. Denn bei allen Herausforderungen, die uns unsere Arbeit fast täglich vor die Füße wirft, macht es auch nach 20 Jahren weiterhin unglaublich viel Spaß bei masifunde. Beim Schreiben dieser Zeilen kommen mir unzählige Anekdoten in Erinnerung, die den Rahmen genauso sprengen würden wie die vielen lieben Freunde und Bekannten namentlich zu nennen, die den Weg dieser 20 Jahre gemeinsam mit mir bestritten und maßgeblich geprägt haben.

Ich weiß nicht genau, wie viele ehrenamtliche Helfer wir in Deutschland und Südafrika über die zwanzig Jahre hinweg hatten, aber sicherlich deutlich über 300, die sich punktuell, ab und an, regelmäßig oder unaufhörlich für masifunde in Deutschland und Südafrika eingesetzt haben. Diesen gilt mein herzlicher Dank genauso wie all den vielen lieben Spendern und Förderern, die uns und unserer Arbeit vertrauen und einen Mehrwert in unserem Wirken sehen – sei es einmalig, regelmäßig oder zum Teil schon seit 20 langen Jahren.

Klingt kitschig, ist aber wahr: Ohne den Beitrag all dieser fantastischen Menschen – ohne Deinen Beitrag – wäre das, was wir heute bestaunen dürfen, in dieser Form nicht möglich gewesen. All das, was masifunde heute ausmacht, ist auch ein Ergebnis des Beitrags eines jeden einzelnen Ehrenamtlichen, Freiwilligen, Förderers oder Spenders.

Dafür mein herzlichstes Dankeschön!

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